Machen wir ein Gedankenexperiment, nur du und ich.
Stell dir vor, du gehst an einem stürmischen Tag im Herbst aus dem Haus. Am Vortag waren es noch angenehme 17 Grad.
Du gehst zu deiner Arbeit und wie jeden Tag läufst du, auf dem Weg zur Busstation, an einer Parkbank vorbei.
Seid drei Tagen sitzt da ein Obdachloser.
Er hat kaum etwas und bettelt, das Betteln ist ihm peinlich. Er scheint sich zu schämen und doch freut er sich über jeden Cent der in seinem Kaffeebecher landet. Er grüßt dich höflich, jeden Tag lächelt er dir zu.
Scheint dir mit seinem Lächeln einen besseren Tag wünschen zu wollen, einen schöneren als er vielleicht haben wird.
Wie jeden Morgen kommst du an ihm vorbei.
Manchmal legst du ihm ein paar Münzen in den Kaffeebecher.
An diesem Morgen lächelt er nicht.
Er hat seinen alten, wettergegerbten Mantel eng um sich geschlungen, die alte, kaputte Mütze die ihm kaum noch über die Ohren reicht fest über den Kopf gezogen.
Er hat sich hinter der Bank verkrochen und all sein Hab und Gut um sich aufgestapelt, damit die alten IKEA-Tüten, in denen er all sein Besitz verstaut hat, noch ein wenig als Wetterschutz dienen bevor sie das zeitliche Segnen.
Du schaust auf dein Handy. Deine Wetterapp zeigt dir eine erschreckende Zahl, es herrschen 5 (!) Grad.
Wie hält er es nur in dieser Kälte nur aus? Es fühlt sich an wie unter Null.
Der eisige Regen und die kalten Finger des Windes kriechen selbst unter den festen und guten Stoff deiner Jacke und setzt sich an deinen Knochen an. Du schauderst bei der Vorstellung, alleine draußen sein zu müssen.
Du siehst zu dem Mann, es wirkt fast so als würde Väterchen Frost persönlich neben ihm sitzen und ihm seine kalten Arme tröstend um die Schultern legen.
Der alte Bettler zittert vor Kälte.
Was wirst du tun?
Bleibst du weiter blöd stehen und gaffst ihn weiterhin an?
Gehst du weiter? Du bist ohnehin schon viel zu spät. Dein Chef wird nicht erfreut sein, es ist schon das zweite Mal in diesem Quartal das du zu spät kommst und du hängst sehr an diesem Job.
Leider hast du diesen Morgen den Wecker nicht gehört und bist zu spät aufgewacht. Wenn du aus diesem Job fliegst, gerätst du in eine Geldnot.
Oder gehst du zu dem Mann? Hier um die Ecke gibt es einen Bäcker. Du weißt, wenn du ihn einlädst darf er auch in den Sitzbereich des Bäckers.
Du könntest deinen Chef anrufen und ihm sagen, dein Kind sei krank und du hast mit deinem Partner abgemacht, dass du heute Zuhause bleibst um für das Kind zu sorgen.
Mit der Einladung zum Bäcker, könntest du dem Mann einen trockenen und warmen Platz spenden, ihm Essen und etwas Warmes zu trinken geben.
Vielleicht gehst du auch zu ihm und legst ihm einen 10 Euro Schein in den Becher.
Dann gehst du weiter und kommst nicht allzu spät. Du musst dich zwar vor deinem Chef rechtfertigen und dir einen seiner Vorträge von Zuverlässigkeit anhören, doch du kannst deinen Job behalten. Doch du hast deine „eine Gute Tat des Tages“ erfüllt.
Du bemerkst wie ein Frau dich beobachtet. Eine junge Frau, vielleicht eine Streetworkerin?
Nun, wählst du die erste Variante? Malen wir uns aus was passiert.
Irgendwann wird der Mann bemerken, dass du ihn angaffst. Das treibt ihn nur in tiefere Scham.
Dieses Schamgefühl befällt auch bald dich und du gehst mit gesenktem Blick weiter. Der Obdachlose blickt dir hinterher.
Hättest du ihm nicht helfen können? Natürlich nicht!
Was scheint diese Person zu sein?
Banker?
Natürlich, dieser Passant wirkt so. Aktentasche, teurer Mantel, schickes iPhone, gute Schuhe und teure Kleidung unter dem Mantel.
Solch eine Person würde einem alten Bettler doch nicht helfen.
Diese Welt scheint ihn zu vergessen, doch war er in seiner Jugend doch immer einer der Guten. Er hat zu den Leuten gehört die diese Welt ein Stück besser machen wollten. Er war ein guter Mann. Doch diese Welt gibt keinem etwas, sie nimmt nur.
Hat er doch sein Haus durch eine Mieterhöhung verloren, der Staat wollte ihm nicht helfen und sein geliebter Hund starb letzte Woche.
Er sehnt sich nach dem flauschigen Vierbeiner.
Und doch bleibt er auf dieser Welt. Was hat er dieser Welt nur angetan, dass er so bestraft wird?
Nun gut, diese Variante ist vielleicht nicht so gut.
Schauen wir bei der zweiten vorbei, wie könnte dieses Szenario aussehen?
Du gehst weiter, du beeilst dich noch auf den nächsten Bus zu kommen, gerade schaffst du es noch halb pünktlich auf deine Arbeit zu kommen.
Du gehst an deinen Bankschalter und beginnst deinen Arbeitstag.
Pünktlich um 18:30 Uhr gehst du nach Hause. Gegen Abend ist es Wärmer geworden.
Als du wieder an der Parkbank vorbeikommst, ist der Mann weg.
Du hast dieses Duell mit dir selbst am Morgen schon wieder vergessen.
Warum ist er weg…? Ein Schrecken fährt durch deine Glieder und dein Kloß bildet sich in deinem Hals. Ist ihm etwas passiert?
Du hast heute ab und an nachgeschaut wie Kalt es ist. Gegen 12 hat es geschneit, danach ist das Thermometer auf Gerade unter Null gesunken.
Ist er erfroren?
Das Gefühl von Schuld macht sich in dir breit. Du gehst nach Hause.
Ein Gefühl der Leere macht sich in dir breit. du versuchst dich mit dem Gedanken zu trösten, dass er nur woanders hingegangen ist.
der Abend wird nicht schön für dich.
Andauernd denkst du an den alten Mann
Vielleicht ist die dritte Variante besser.
Du gehst zu dem Mann hin, sprichst ihn höflich an und fragst ob er Hunger habe. Der Mann scheint interessiert, er nickt. Du gehst mit ihm zu besagtem Bäcker. du erfährst viel von ihm. Er erzählt dir, dass er früher als jugendlicher und junger Erwachsener viel im Gemeinnützigen für Obdachlose gearbeitet hat. Er hat für viele gesorgt und auch das auch arme und obdachlose Kinder ein Dach über dem Kopf kriegen. Er erzählt dir das er, bis zur Schließung seines Ladens, Spielzeugmacher war. Er hatte in seinem Laden eine kleine Kiste, in der immer noch ein kleines Geschenk für ein Kind übrig war.
Du kaufst ihm Essen und Trinken. Schnell begreifst du was er dir vermitteln will.
„Du bist nicht das, als was du geboren bist. Du bist das was du aus dir machst.“
Du erfährst, dass sein Hund leider verstarb.
Und das er froh über sein Leben ist. Er versucht dir weiß zu machen, dass es besser ist einen Tag mehr als einen Tag weniger zu haben. Man sollte aus jedem Tag das Beste machen. Du bist beeindruckt von den Lehren des alten Mannes, was er dir in wenigen Augenblicken übermitteln kann. Wie er dir die Augen zur Welt öffnet.
Du bist beeindruckt von allem was diesen Mann umgibt.
Er bietet dir von seinem Essen an. Du lehnst ab doch er besteht darauf, dass du auch etwas von dem Essen hast.
der Tag vergeht. Du schenkst ihm zum Schluss deinen Schal. Braucht er ihn doch dringender als du.
Als du nach Hause gehst, fühlst du dich gut. Als hätte dich jemand wachgerüttelt. Du siehst dein Leben anders.
Und die letzte Möglichkeit? die 10 Euro?
DU gibst dem Mann die 10 Euro in den Becher. Er schaut dich irritiert an. Ist das ein Scherz? Du gehst weiter, ohne dich umzudrehen. Dieses Gefühl, etwas zu verpassen oder etwas falsches gemacht zu haben hält dich fest.
Du kennst diesen Menschen nicht und schenkst ihm Geld. Das ist nichts was einen Menschen ausmacht…
Geld…..
Geld ist nur eine weitere Maske die man in der Gesellschaft hat.
Macht Geld glücklich? Vielleicht solltest du nicht weiter darüber nachdenken. Erwische besser deinen Bus.
In 15 Minuten hast du es vergessen.
Für was hast du dich entschieden?
1)?
2)?
3)?
4)?
Und überlege gut wofür du dich entscheidest, denn auch du kannst hinter dieser Parkbank sitzen und dich vor der Kälte fürchten.